Mittwoch, 19. Februar 2014

Aber wo sollen die denn alle wohnen?

Nach einigen Tagen Erstaunen und Augenreiben ist es Zeit, eine erste Bilanz über meine Erkenntnisse nach der Abstimmung zur Initiative "Gegen Masseinwanderung" zu ziehen:

Gemäss einer Umfrage wurde die Abstimmung offenbar nicht als für oder gegen den bilateralen Weg wahrgenommen. Rund 74% der Schweizerinnen und Schweizer erachten diesen weiterhin als die für die Schweiz richtige Form der Zusammenarbeit. Quelle: bernerzeitung.ch

Es gab somit rund einen Viertel der Stimmenden, die entgegen ihrer Meinung gestimmt haben. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich: Die zu erwartenden Schwierigkeiten mit Europa wurden unterschätzt (oder je nach Standpunkt durch die Mehrheit der Parteien und Verbände nicht glaubhaft vermittelt), die schweizerische Verhandlungsposition überschätzt, man verstand den Inhalt schlicht nicht ("ich habe als liberaler geist JA gestimmt" [Quelle]) oder eine Annahme wurde nicht erwartet und man dachte, sich eine Protest-Stimme leisten zu können, ohne dass das Ergebnis kippt.

Die tragische Auswirkung ist nun, dass ein Abstimmungsergebnis vorliegt, das scheinbar nicht dem Volkswillen entspricht!

Nach meinem Aufruf im Blog von letzter Woche habe ich Mails erhalten und einige Gespräche geführt. Aktuell habe ich folgendes Bild:
  • Das Zünglein an der Waage waren Stimmende, die "ein Zeichen setzen" wollten
    • Gegen die Verstädterung und Zubetonierung der Schweiz
    • Gegen neue Wohnungen, Häuser und Strassen für eine mittelgrosse Stadt - pro Jahr!
    • Für eine intakte, grüne Landschaft mit einer funktionierenden Landwirtschaft
    • Für einheimische, regional angebaute Lebensmittel nach unseren Standards
    • Gegen den täglich drohenden Verkehrskollaps in den Grenzregionen und Agglomerationen
  • Die negativen Auswirkungen des Booms, den die Schweiz in den letzten Jahren erlebt hat, werden somit heute höher gewichtet als die Chancen, die Wirtschaftswachstum bietet
  • Die entscheidenden Stimmen sind nicht primär gegen Europa, Einwanderung und Offenheit, sondern gegen Beton, Verkehr, Lärm, Stau und Zerstörung des Landschaftsbildes.
So gesehen ist das Ergebnis die konsequente Weiterführung der Annahme der Zweitwohnungsinitiative und der zunehmenden Skepsis gegenüber Bautätigkeit. Der Stadt-/Landgraben wird vor diesem Hintergrund nachvollziehbar - wer keine Naturlandschaft mehr hat, will sie auch nicht speziell schützen. Es ging nicht um Einwanderung, sondern um Landschafts- und Heimatschutz!

Bautätigkeit in Bösingen und Laupen 2004 - 2014 (Basis: Google Maps)
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit/Richtigkeit, sondern aus der Erinnerung)
Ist das viel, vernünftig oder eigentlich recht wenig?


Viel wurde auch über den Nationalen Finanzausgleich NFA geschrieben. Ist es als Bezügerregion legitim, die wachstumsstarken Zentren bremsen zu wollen? Sind sich die Empfänger zu wenig bewusst, dass sie eigentlich über ihren Verhältnissen leben? Verlangt der nationale Zusammenhalt den Verzicht der Städte zu Gunsten derjenigen, die eine andere Werthaltung haben? Sind wachstumsstarke Regionen arrogant, weil sie Wachstum über alles stellen wollen? Oder zeigt das Ergebnis gar auf, dass der NFA gut funktioniert, weil die Schweizerinnen und Schweizer dort wohnen können, wo sie sich wohl und daheim fühlen?

Das Abstimmungsergebnis ist eine Notbremse - die einzige, die das Schweizer Volk hatte. Es gilt nun zu schauen, dass die negativen Nebenwirkungen - insbesondere das Verhältnis zu Europa und damit die (Aussen-)Wirtschaftspolitik - möglichst gering gehalten werden können. Und dann muss die Diskussion wieder stärker geführt werden, welches und wieviel Wachstum mehrheitsfähig ist - und dieses Thema kann und muss auch in den Gemeinden aufgegriffen werden.


Mittwoch, 12. Februar 2014

Aufarbeiten der Abstimmung über die Initiative "Gegen Masseneinwanderung"

Am vergangenen Sonntag hat das Stimmvolk die Initiative "Gegen Masseneinwanderung" der SVP angenommen. Obwohl dies primär ein nationales Thema ist, betrifft es uns. Die Gemeinde Bösingen hat die Initiative mit 52.7% der Stimmen angenommen. Ohne grosse Umfragen muss ich daraus schliessen, dass auch einige Mitglieder der FDP Bösingen ein Ja eingelegt haben.

Ich bin persönlich tief erschüttert über dieses Ergebnis und suche deshalb den Dialog mit euch. Als Ortspartei sind wir am nähesten an der Bevölkerung und ich möchte diese Chance nun nutzen!

Bundesrat, Nationalrat und Ständerat, die in der Schweiz für die Aussenpolitik und namhaft für die Wirtschafts-, Migrations- und Regionalpolitik zuständig sind, haben eine Ablehnung empfohlen. Wie seid ihr zur Meinung gelangt, dass diese Initiative unterstützenswert ist?

Sämtliche Gewerbe-, Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Verbände haben eine Ablehnung empfohlen. Wie seid ihr zur Meinung gelangt, dass diese Initiative unterstützenswert ist?

Ein Grossteil von euch ist selbst oder vor Generationen aus dem protestantischen Kanton Bern nach Bösingen gezogen. Und das war in den letzten Jahrzehnten eine echte Masseneinwanderung! Scheint euch das heute falsch? Weshalb erachtet ihr die Landesgrenzen als "die richtige Grenze" und nicht die Kontinent-, Kantons- oder gar die Konfessionsgrenze? Wo wärt ihr heute, wenn ihr oder eure Vorfahren keine Niederlassungsfreiheit gehabt hätten? Wie seid ihr zur Meinung gelangt, dass diese Initiative unterstützenswert ist?

Die FDP versteht sich als wirtschaftsnahe und pragmatische Partei. Wir glauben an Freiheiten und eine positive Zukunft durch Handel und Wirtschaftswachstum! Wir sehen berufliche Perspektiven und Chancen als Grundlage von Frieden und Fortschritt! Die nationale und kantonale FDP sowie die FDP Sense und Bösingen haben jeweils mit sehr grosser Mehrheit eine Ablehnung empfohlen. Wie seid ihr zur Meinung gelangt, dass diese Initiative unterstützenswert ist?

In den letzten Tagen wurde geschrieben, dass "die Politik die Sorgen und Ängste der Bevölkerung zu wenig ernst genommen habe". Wer von euch war an der Mitgliederversammlung der FDP Sense in Düdingen und hat bei der Parolenfassung zu dieser Initiative irgend eine Angst oder Sorge geäussert? Wer hat das Gespräch mit uns gesucht, um seine Bedenken einzubringen? Was sind denn eure Ängste, die zur Ja-Stimme geführt haben? Wieso denkt ihr, dass diese Initiative ein wirksames Mittel dagegen ist? Wie seid ihr zur Meinung gelangt, dass diese Initiative unterstützenswert ist?

Die SVP hat 1992 den EWR bekämpft und den bilateralen Weg propagiert. Das Stimmvolk hat diesen Weg unterstützt und die Schweiz ist - mit enormem Verhandlungsaufwand, unter Inkaufnahme einer langjährigen Wirtschaftsflaute und hohen Kosten - immer noch daran, mit den europäischen Nachbarn einzelne Verträge auszuhandeln. Und nun bekämpft die selbe SVP ihre eigene Lösung! Seit Jahren streut und pflegt diese Partei gezielt Zukunftsangst und Fremdenfeindlichkeit, präsentiert einfach klingende aber wirkungslose Rezepte dagegen und zeigt Scheinlösung um Scheinlösung, um sich am Ende als Opfer von "denen da oben" darzustellen. Wie sollte diese Partei nun plötzlich etwas aussenpolitisch Sinnvolles vorschlagen? Wie seid ihr zur Meinung gelangt, dass diese Initiative unterstützenswert ist?

Bitte meldet euch - ich möchte verstehen, was zu diesem Ergebnis geführt hat. Ihr könnt mich telefonisch oder per Brief kontaktieren. Und natürlich dürft ihr gerne das Kommentarfeld nutzen.

Euer Präsident
Andreas