Gemäss einer Umfrage wurde die Abstimmung offenbar nicht als für oder gegen den bilateralen Weg wahrgenommen. Rund 74% der Schweizerinnen und Schweizer erachten diesen weiterhin als die für die Schweiz richtige Form der Zusammenarbeit. Quelle: bernerzeitung.ch
Es gab somit rund einen Viertel der Stimmenden, die entgegen ihrer Meinung gestimmt haben. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich: Die zu erwartenden Schwierigkeiten mit Europa wurden unterschätzt (oder je nach Standpunkt durch die Mehrheit der Parteien und Verbände nicht glaubhaft vermittelt), die schweizerische Verhandlungsposition überschätzt, man verstand den Inhalt schlicht nicht ("ich habe als liberaler geist JA gestimmt" [Quelle]) oder eine Annahme wurde nicht erwartet und man dachte, sich eine Protest-Stimme leisten zu können, ohne dass das Ergebnis kippt.
Die tragische Auswirkung ist nun, dass ein Abstimmungsergebnis vorliegt, das scheinbar nicht dem Volkswillen entspricht!
Nach meinem Aufruf im Blog von letzter Woche habe ich Mails erhalten und einige Gespräche geführt. Aktuell habe ich folgendes Bild:
- Das Zünglein an der Waage waren Stimmende, die "ein Zeichen setzen" wollten
- Gegen die Verstädterung und Zubetonierung der Schweiz
- Gegen neue Wohnungen, Häuser und Strassen für eine mittelgrosse Stadt - pro Jahr!
- Für eine intakte, grüne Landschaft mit einer funktionierenden Landwirtschaft
- Für einheimische, regional angebaute Lebensmittel nach unseren Standards
- Gegen den täglich drohenden Verkehrskollaps in den Grenzregionen und Agglomerationen
- Die negativen Auswirkungen des Booms, den die Schweiz in den letzten Jahren erlebt hat, werden somit heute höher gewichtet als die Chancen, die Wirtschaftswachstum bietet
- Die entscheidenden Stimmen sind nicht primär gegen Europa, Einwanderung und Offenheit, sondern gegen Beton, Verkehr, Lärm, Stau und Zerstörung des Landschaftsbildes.
Bautätigkeit in Bösingen und Laupen 2004 - 2014 (Basis: Google Maps)
(ohne Anspruch auf Vollständigkeit/Richtigkeit, sondern aus der Erinnerung)
Ist das viel, vernünftig oder eigentlich recht wenig?
Ist das viel, vernünftig oder eigentlich recht wenig?
Viel wurde auch über den Nationalen Finanzausgleich NFA geschrieben. Ist es als Bezügerregion legitim, die wachstumsstarken Zentren bremsen zu wollen? Sind sich die Empfänger zu wenig bewusst, dass sie eigentlich über ihren Verhältnissen leben? Verlangt der nationale Zusammenhalt den Verzicht der Städte zu Gunsten derjenigen, die eine andere Werthaltung haben? Sind wachstumsstarke Regionen arrogant, weil sie Wachstum über alles stellen wollen? Oder zeigt das Ergebnis gar auf, dass der NFA gut funktioniert, weil die Schweizerinnen und Schweizer dort wohnen können, wo sie sich wohl und daheim fühlen?
Das Abstimmungsergebnis ist eine Notbremse - die einzige, die das Schweizer Volk hatte. Es gilt nun zu schauen, dass die negativen Nebenwirkungen - insbesondere das Verhältnis zu Europa und damit die (Aussen-)Wirtschaftspolitik - möglichst gering gehalten werden können. Und dann muss die Diskussion wieder stärker geführt werden, welches und wieviel Wachstum mehrheitsfähig ist - und dieses Thema kann und muss auch in den Gemeinden aufgegriffen werden.